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Intro/ Biografie/

Auf der Suche nach einem Buch zur Einführung in die künstlerischen Avantgardebewegungen war ich als junger Kunststudent in den 1980er Jahren auf Peter Bürgers „Theorie der Avantgarde“ gestoßen. Die Hoffnungen, die ich auf den Titel gesetzt hatte, wurden leider enttäuscht: Es gab nur ein paar Bemerkungen zu den Kunstwerken selbst, der Rest, Fragen nach der Rolle einer kritischen Literaturwissenschaft, nach affirmativen Momenten in der Kultur etc. blieb mir damals schlichtweg unverständlich. Das änderte sich als ich fast 10 Jahre später wieder auf das Buch aufmerksam wurde. Boris Groys hatte es in einer seiner Vorlesungen zum Thema „Was ist Kunst“ vorgestellt und in den höchsten Tönen gelobt. Jetzt waren es gerade die Kapitel des Buches, zu denen ich vorher keinen Zugang gefunden hatte, die mein Interesse an der Lektüre neu weckten.
Kritische Wissenschaft, so erfährt man in der Einleitung, sei Teil der gesellschaftlichen Praxis, was nichts anderes bedeute, als das sie an vernünftigen Zuständen, das heißt einer Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung, interessiert sein sollte. In der Literatur und Kunst bzw. deren Wissenschaften ließe sich dieses Interesse aber nur indirekt durchsetzen. Bei der Untersuchung werde daher die Frage nach der gesellschaftlichen Funktion eines Kunstwerks allzu häufig übergangen. Irgendwann fällt der Begriff „Ideologiekritik“ und dann beginnt Peter Bürger am Beispiel der Marxschen Religionskritik die Konturen einer kritischen Kulturwissenschaft zu zeichnen. Für das weitere Verständnis ist es vielleicht noch wichtig, zu erwähnen, dass für Bürger die künstlerischen Avantgardebewegungen zu Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Mittel der Selbstkritik der Kunst hierfür den Weg geebnet haben. Durch die ständigen Zerstörungen unserer Vorstellungen vom traditionellen Kunstwerk bleibe am Ende vom eigentlichen Kunstwerk nicht mehr viel übrig, aber etwas anderes werde sichtbar, nämlich die Institution Kunst, heute würde man wohl sagen das Kunstsystem oder um es mit einem anderen Begriff auszudrücken „Das Betriebssystem Kunst“. Das erklärt auch, warum viele Künstler in der Folge sich in ihren Arbeiten mit dem Funktionieren und der Herrschaft dieses Systems auseinandergesetzt haben. Allerdings enden die Avantgardebewegungen für Peter Bürger merkwürdigerweise nach 1945. Danach folgt eine Neoavantgarde, deren Provokationen des mittlerweile auf Schocks eingestellten Publikums zwangsläufig ins Leere laufen müssen.
Genau hier wollte ich mit meinen Fragen an Peter Bürger ansetzen. Leider kam auf meine Anfrage aber eine höfliche Absage, er habe zu Marx ohne Vorbereitungen nichts Substanzielles zu bieten und „Sprachverwitzelungen“ wie „Remarx“ schätze er überhaupt nicht. Ein zweiter Anlauf mit der Erklärung, dass Projekttitel doch nicht so wichtig seien und ich hauptsächlich über seine Bücher mit ihm sprechen wolle, konnte ihn auch nicht erweichen. Diesmal fiel die Begründung etwas länger aus: Das Interview an sich sei zwar „zulässig“ für so etwas Flüchtiges wie das Radio oder die Tagespresse, aber nichts für ein Buch. Außerdem wiederhole man häufig doch eh nur die Dinge, die man in seinen Büchern schon besser formuliert habe. Sehr schade, denn Peter Bürgers Auffassung der Avantgarde hätte sich so wunderbar in die Reihe mit Fredric Jameson (Postmoderne und Spätkapitalismus), Wolfgang Fritz Haug (Warenästhetik), Boris Groys (Russische Avantgarde) und Wolfgang Ullrich (Was war Kunst) eingefügt.
Dann erinnerte ich mich einer Relektüre von „Theorie der Avantgarde“ in einem neulich erschienen Band von Kunstforum International, die Bürgers These der Selbstkritik der Kunst mit dem „Self-Criticism“ in Clement Greenbergs berühmten Aufsatz „Avantgarde und Kitsch“ aus den späten 1930er Jahren vergleicht. Der kurze Abschnitt lässt undeutlich, wo die wirklichen Unterschiede zwischen Bürgers und Greenbergs Avantgarde-Konzeption liegen und verkennt, dass Bürger den Begriff der Selbstkritik nicht von Greenberg übernommen hat, sondern diesen direkt in der Auseinandersetzung mit Marx entwickelt hat. Da ich aus Veröffentlichungen wusste, dass Peter Bürger die Korrespondenz als ein bevorzugtes Medium der Kommunikation ansieht, unternahm ich einen letzten Anlauf: Ich schickte ihm die – zugegebenermaßen nicht sehr wohlwollende – Relektüre mit dem Angebot in einem Briefwechsel, der dann in der Reihe „Remarx“ veröffentlicht werden solle, eine gemeinsame Relektüre zu versuchen. Diesmal hatte ich Erfolg: Die zuvor förmliche Anrede wandelte sich in ein „Lieber Herr Eikmeyer“, Peter Bürger bedankte sich für meine intensive Relektüre seines Buches und wir begannen unsere Korrespondenz. Allerdings, und das ist auch das Bezeichnende an den folgenden Briefen, gab es keine Reaktion auf die wichtige Frage nach der Fortführung des avantgardistischen Projekts nach 1945. Ich hatte Foucault und die Diskursanalyse, die sozialen Veränderungen in den 60er und 70er Jahren, die Minimal Art, die Konzeptkunst, die Kontextkunst der 90er Jahre angesprochen. Aktuell könne man die Medienkunst als Möglichkeit zur „Konstruktion sozialer Realitäten“ nennen. Es ist wirklich erstaunlich, dass Peter Bürger hierzu tatsächlich nur Positionen seiner eigenen Aufsätze wiederholte – mit ständigen Hinweisen auf die Titel der Bücher – aber ansonsten kaum Reaktionen zeigte. Einzig mein Vorschlag, innerhalb der historischen Avantgardebewegungen eine Unterscheidung zwischen Avantgarde und radikaler Avantgarde zu treffen und die Abgrenzung seiner Konzeption der Avantgarde von Greenbergs Modernismus bzw. der Moderne, schien ihn herauszufordern. Dieses, ich möchte es mal Oszillieren zwischen Annäherung und Ablehnung nennen, kennzeichnet im Nachhinein den gesamten Briefwechsel. Der Tonfall des zweiten Antwortbriefes hatte sich etwas verändert, was mich zu einigen längeren Rechtfertigungen meiner Positionen veranlasste. Ich dachte, nun sei endlich der Zeitpunkt gekommen, über die noch ausstehende Frage nach der Fortführung des avantgardistischen Projekts zu diskutieren und wollte dies anhand eines programmatischen Textes von Guy Debord zur Situationistischen Internationale nachweisen. Außerdem erwähnte ich noch einmal Peter Weibels Ansatz der Kontext- und Medienkunst und Fredric Jamesons Verwendung des Begriffs Postmodernismus. Umso erstaunter war ich dann, dass unsere Korrespondenz genau an dieser Stelle abbrach. Ein kurzes Antwortschreiben, in dem Peter Bürger noch einmal seinen polemischen Begriff der Neoavantgarde erläuterte, Guy Debord und Beuys ausgenommen, beendete den Briefwechsel. Der schöne Satz von Debord, den ich zitiere, „Die Leidenschaften sind oft genug interpretiert worden, es kommt darauf an, neue zu erfinden“, könnte auch von Breton stammen. Im letzten Satz stimmte er dann plötzlich einer Veröffentlichung der Briefe unter dem Titel „Remarx“ nun nicht mehr zu. Alle Argumente und Hinweise, dass er dies doch schon getan hätte, halfen nichts und auf mein diesbezügliches Schreiben erfolgte keine Antwort mehr. Schließlich entschied ich mich in einem Telefonat mit seiner Frau, ihm das Angebot zu unterbreiten den Titel des Buches zu ändern. Was ich zuvor als Oszillieren bezeichnet hatte, zeigte sich auch hier. Kurz nach dem Telefongespräch bekam ich ein sehr freundliches Fax mit der Bitte um Verständnis, dass er einer Veröffentlichung unseres Briefwechsel unter dem Titel „Remarx“ nicht zustimmen könne, aber dazu gerne „unter einem zu findenden neuen (die Sache nicht verballhornenden)“ bereit sei.