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Marx´ Gespenster
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Iring Fetscher
Michael Hardt
Ilya & Emilia Kabakov
Slavoj Zizek
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Wolfgang Fritz Haug
Jonathan Meese




 

Intro/ Interview/ Biografie/

Wolfgang Fritz Haug ist mir gleich von mehreren Seiten als Gesprächsteilnehmer für die Reihe empfohlen worden. Ich muss zugeben, dass ich bis dahin nur seinen Namen und den Titel seines einflussreichsten Werkes kannte, „Kritik der Warenästhetik“, mit dem er in den 70er Jahren Furore gemacht hatte. Haug ist einer jener Intellektuellen, die seit dem Aufkommen der poststrukturalistischen und postmodernen Philosophie ein Schattendasein geführt haben, die aber abseits des Marktes beharrlich an der Ausarbeitung ihres Denkansatzes weitergearbeitet haben. Im Jahr 2000 dann, mit dem Aufkommen neuer öffentlicher Foren, wie der Antiglobalisierungsbewegung und dem unglaublichen Erfolg von Hardt / Negris Buch „Empire“ schien auch die Zeit für ein intellektuelles Engagement wieder gekommen zu sein. Wieder einmal war es Derrida, der mit „Marx’ Gespenster“ hierfür zu Beginn der 90er Jahre die Weichen gestellt hatte. Derrida kritisierte den Zynismus derer, die den „Triumphgesang des Kapitalismus oder des ökonomischen und politischen Liberalismus sangen“. Der Zustand der Welt sei nach wie vor schlecht meinte Derrida und erstellte dazu seinerzeit ein „Zehn-Punkte-Telegramm“, wie er das nannte. Und dann prognostizierte er eine „neue Internationale“, die man sicherlich mit der Antiglobalisierungsbewegung in Verbindung bringen kann. Diese „neue Internationale“ formiert sich im Augenblick und Wolfgang Fritz Haug ist einer der Ideengeber dieser Bewegung, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von ATTAC und trotz seines fortgeschrittenen Alters – Haug ist einen Tag vor unserem Gespräch 70 Jahre alt geworden – immer noch rastlos auf Vortragsreisen, verlinkt mit den wichtigsten Universitäten dieser Welt.
„Kritik der Warenästhetik“ ist auch nach gut 30 Jahren noch ein erfrischendes Buch. Die gewählten Beispiele wirken im Rückblick manchmal etwas angestaubt oder positiv formuliert charmant antiquiert, aber die theoretische Analyse ist nach wie vor eine der besten Einführungen in das, was man heute wohl Konsumismus nennen würde. Ein kurzer Aufsatz von 1970 „Zur Kritik der Warenästhetik“ enthält bereits alle wichtigen Gedankengänge des späteren Buches: Von Marx wissen wir schon, dass Waren sinnlich-übersinnliche Dinge sind. Waren besitzen einen Doppelcharakter, sie sind zum einen für den Gebrauch bestimmt z.B. für den Verzehr, zum anderen werden sie getauscht. Damit dieser Tausch vollzogen werden kann, müssen sich die Tauschobjekte in einem Dritten ausdrücken, eine Rolle die im Kapitalismus das Geld übernimmt. Dadurch kann sich der Tauschwert aber auch von jedem direkten Bedürfnis – um beim Beispiel des Verzehrs zu bleiben, Hunger zu stillen – lösen und verselbstständigen. Und somit sind die Positionen klar: „Dem einen (dem Käufer) dient die Ware als Lebensmittel, dem anderen (dem Verkäufer) das Leben als Verwertungsmittel.“ Bei der Produktion von Waren geht es also nicht nur um den Gebrauchswert dieser Ware, sondern vor allem um die „Erscheinung des Gebrauchswerts“, das Gebrauchswertversprechen bzw. die sinnliche Erscheinung einer Sache. Wir wechseln also vom Tausch zur „Warenästhetik“ und vor allem zur Beherrschung durch die Ästhetik im Kapitalismus. Wer die Erscheinung beherrscht, beherrscht mittels der Faszination auch die Menschen. Hierfür hat Wolfgang Fritz Haug den Begriff „Technokratie der Sinnlichkeit“ geprägt. Sagen wir es mal so: die Waren verkleiden sich immer mehr, schminken ihr Äußeres letztendlich bis zur Unkenntlichkeit ihres wahren Inneren, um uns zum Kauf zu verlocken. So weit so gut. Wer Wolfgang Fritz Haug kennt, weiß, dass ihm auch diese Beschreibung zu unpräzise erscheinen würde und ich verweise am besten einfach auf die Lektüre seiner Bücher. Haug ist ein gnadenloser Denker und in seinem Universum gibt es einen Typus des Intellektuellen, vor dem er fast körperliche Abscheu besitzt: den Intellektuellen des Marktes, den Quotenkönig, wenn man bei der gesellschaftlichen Rolle, die der Intellektuelle heute noch spielt, überhaupt von Quote sprechen kann. Ich war also gut beraten, bei meinem Besuch in Esslingen nicht zu „oberflächlich“ zu argumentieren und hatte mir ein paar sorgfältig vorbereitete Fragen zurechtgelegt. Trotzdem kamen wir ziemlich schnell ins Fahrwasser der Intellektuellen des Marktes: Kapitalismus und Kult, wie es derzeit z.B. von Giorgio Agamben in die Debatte gebracht wird, haben überhaupt nichts miteinander zu tun, Baudrillards Werttheorie sei ein Missverständnis von Saussures Theorie der Valeur, Foucault und der „Tod des Menschen“ Gequatsche. Eingangs des Gesprächs hatte ich erwähnt, dass ich bereits mit Michael Hardt gesprochen hätte. Er kenne den Michael sehr gut, man habe sogar kurz überlegt, die deutsche Ausgabe von Hardt / Negris „Empire“ in Haugs Argument Verlag herauszubringen, aber Hardt habe doch etwas zu Spielerisches, was ihm fremd sei, die Duke University sei übrigens auch nicht wirklich ein Zentrum marxistischer Theorie, sondern eher eine „Künstlerkolonie“. Ernsthafte Theorie sei nun einmal kein Spiel, sondern habe etwas mit Akkumulation von Wissen zu tun. Das krasse Gegenteil von Wissenschaft sei dagegen das, was Haug mit Gramsci als Lorianismus bezeichnet: das „hochgestochene Blech einer bestimmten Intellektuellengattung“. Ich muss zugeben, dass eine wissenschaftliche Theorie jenseits von Zeitgeist und Markt, ähnlich wie bei meinem Briefwechsel mit Peter Bürger, eine gewisse Faszination auf mich ausgeübt hat. Vernachlässigen wir als jüngere Generation vielleicht doch ein gewisses Ethos von Theorie, sind wir zu marktorientiert und spielerisch? Aber andererseits: kann man einfach so zu einer marktfreien Theorie zurückkehren? Beim Gebrauchswert geht das ja auch nicht so einfach. Lässt sich Wissen wirklich akkumulieren? Das sind Dinge, die ich bisher geleugnet habe – alle genannten Autoren des Zeitgeistes gehören übrigens zu meinen Lieblingsautoren – und ich glaube, es gibt im Nachhinein auch gute Gründe hierfür. Unter den Bedingungen der kapitalistischen Ökonomie – und unter diesen Bedingungen verfasst auch Wolfgang Fritz Haug seine Bücher – werden nun mal alle Diskurse und sprachlichen Äußerungen zur Ware. Erfolgreich ist in diesem kapitalistischen System derjenige, der sich mit Erfolg auf dem Meinungsmarkt etablieren kann, gescheitert derjenige, dem das nicht gelingt. Es gibt hierfür übrigens keine gültigen Rezepte, denn der Markt waltet, wie wir von Marx wissen, wie ein antikes Schicksal über uns und verteilt Glück und Unglück nach seinen eigenen geheimen Gesetzen. Das wahre kommunistische Projekt wäre nun, wie Boris Groys in seinem „kommunistischen Postskriptum“ gezeigt hat, die Herrschaft der Sprache, die Groys im Stalinismus verwirklicht sah. Damit sich diese Sprachherrschaft in einer Gesellschaft etablieren könne, müsse man allerdings bereit sein, auf die Akkumulation von Wissen, also auf Wissenschaft im herkömmlichen Sinne weitgehend zu verzichten und sich den Paradoxien der Sprache anvertrauen. Ich hatte übrigens beim Abschied von Wolfgang Fritz Haug das Gefühl, dass er sich dieses Dilemmas bewusst ist und mit einer Neuordnung und Sammlung seiner bisherigen Arbeiten begonnen hat. Im Keller seines Esslinger Hauses lagern stapelweise Exemplare seiner Bücher, die auf bessere, nämlich postkapitalistische, Zeiten warten, die hoffentlich auch kommen werden.