|
|
Intro/
Interview/ Biografie/
Obgleich ich Ilya Kabakov nie persönlich kennen gelernt habe, glaubte
ich immer, ihn gut zu kennen. Seine Arbeiten – vor allem aber die
langen Gespräche, die Boris Groys und er („Die Kunst des Fliehens“
und „Die Kunst der Installation“) in den 1990er Jahren geführt
haben – vermittelten mir das Bild eines Künstlers, der sehr
stark von der ideologischen Welt der Sowjetunion geprägt ist: nämlich
dem Marxismus-Leninismus und dem Stalinismus als real existierendem Sozialismus
bzw. als dem, was die reale Trostlosigkeit im sowjetischen Alltag ausgelöst
hatte.
Es lag also nahe, mit ihm und seiner Frau Emilia, mit der er seit 1989
häufig zusammenarbeitet, ein Interview über Karl Marx und den
Kommunismus zu führen. Auf meine Anfrage folgte auch prompt eine
Antwort. „We will participate in the interview & in the exhibition.
I cannot answer you through email, because I cannot type. Send us your
fax number“. Die weitere Kommunikation erfolgte über ein Fax-Gerät.
Wir wollten uns während des Aufbaus ihrer Ausstellung „Palast
der Projekte“ in der Kunsthalle Bielefeld treffen. Von Emilia Kabakov
erfuhr ich, dass Ilya zwar ein bisschen Deutsch verstehen würde,
Englisch jedoch nur sehr schlecht sprechen und verstehen könne. Ihr
Englisch sei aber gut, da sie seit über zwanzig Jahren in New York
wohne. Leider konnte ich diesen Termin nicht einhalten und hätte
das Treffen verschieben müssen, deshalb schlug Emilia vor, ihnen
die Fragen per Fax zukommen zu lassen. Was anfänglich keine gute
Lösung zu sein schien, erwies sich im Nachhinein als genau richtig.
Allerdings waren die ersten Antworten eher enttäuschend, eigentlich
sogar ein bisschen entmutigend. Beide konnten sich nicht erinnern überhaupt
je etwas von Marx gelesen zu haben, sie würden sich einfach nicht
für Karl Marx interessieren. Emilia antwortete übrigens immer
handschriftlich und schwer entzifferbar auf den Ausdrucken meiner Fragen.
Selbstverständlich hatte ich nicht nur Fragen zu Marx formuliert,
sondern auch einige zur Utopie, der Kommunalwohnung, den Gespenstern des
Kommunismus oder zum „Palast der Projekte“. Aber da fielen
die Antworten bis auf zwei oder drei sehr schöne Stellen genauso
wortkarg aus. Vermutlich lag es an der Unpersönlichkeit der gewählten
Form und vermutlich waren beide viel zu beschäftigt, um ausführlicher
antworten zu können. So wie das Interview war, konnte ich es auf
jeden Fall nicht lassen. Also entschloss ich mich einfach, ihnen weitere
Fragen zu schicken und jetzt geschah genau das Gegenteil: In unzähligen
Faxen begann ein reger Gedankenaustausch mit wirklich anregenden und langen
Antworten, so dass durch das anfängliche „We simply were never
interested in Marx´ works“ das Gespräch eine sehr originelle
Wendung nahm und mein bisheriges Bild von Ilya Kabakov „melancholisch,
aber witzig, schlagfertig und immer treffend“ sich wiederherstellte.
Die Rolle von Emilia Kabakov war mir im Vorfeld auch nicht immer klar
gewesen. Auf der einen Seite trat sie häufig in den Hintergrund und
vermittelte nur das Gespräch und den Schriftverkehr, andererseits
war es ihr wichtig, dass das Gespräch ein Interview mit dem Künstlerpaar
Ilya und Emilia Kabakov ist. Nun betreffen viele der Antworten ihre gemeinsame
Arbeit und die Fragen waren von mir natürlich auch dahingehend gestellt
worden. Die etwas antiquierte Form des Fax-Interviews erwies sich in diesem
Fall als sehr geeignet, nicht zuletzt, weil sie über die tatsächliche
Zusammenarbeit und die gewählte Lebensform der beiden mehr auszusagen
vermag, als jedes Gespräch vor Ort.
|