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Intro/ Interview/ Biografie/

„Sich weiter von einem gewissen Geist des Marxismus inspirieren zu lassen, das würde heißen, dem treu zu bleiben, was aus dem Marxismus im Prinzip immer zuerst eine radikale Kritik gemacht hat, das heißt ein Vorgehen, das bereit ist, sich selbst zu kritisieren.“
Jacques Derrida

Der Unterschied zwischen Leben und Überleben

Es scheint im Augenblick nicht besonders aktuell zu sein, über Karl Marx und sein Werk zu sprechen. Da gibt es wohl wichtigere Themen: Internationaler Terrorismus, Ethnische Konflikte, Islamischer Fundamentalismus...Irgendein Jubiläum ist auch nicht in Sicht und trotzdem habe ich das Gefühl, dass Marx auf eine seltsame Weise überall an- und abwesend ist. Wann habt Ihr das letzte Mal etwas von Karl Marx gelesen und könnt Ihr Euch noch erinnern, was das war?

Ilya Kabakov: Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich jemals seine Bücher gelesen habe. Außer vielleicht das „Manifest“, das hab´ ich höchstwahrscheinlich damals an der Kunsthochschule gelesen.

Ich dachte zuerst, deine Antwort sei ironisch gemeint. Wie ist es mit all den anderen Autoren: Lenin, Trotzki, Stalin? Hast du deren Schriften auch nicht gelesen? Und wenn nicht, was war dann ganz generell der Marxismus-Leninismus für dich?

Ilya & Emilia Kabakov: Natürlich mussten wir auch “Das Kapital” lesen. Aber nicht wirklich solche Leute wie Stalin, Lenin oder Trotzki. Trotzki auf keinen Fall! Der war ja „der Feind“. Für uns war der Marxismus-Leninismus eine Theorie, die niemals Wirklichkeit werden durfte, eben so eine Art sowjetischer Nebel, und da war es dann auch nicht so wichtig, welche Texte sich hinter diesem schrecklichen Nebel verbargen.

Marx war damals im Westen vor allem auch als Autor der „Deutschen Ideologie“ bekannt. In diesem Buch tauchen alle die Begriffe und Beschreibungen auf, die wir noch heute gerne verwenden: Ideologie, Entfremdung, Produktion von Bewusstsein...Gab es diesen Marx auch in der Sowjetunion oder war er nur der Autor des „Kapitals“ und der „Politischen Ökonomie“?

Ilya & Emilia Kabakov: Wir können da jetzt natürlich nicht für die gesamte Sowjetunion antworten, weil wir nicht wissen wie beliebt Marx tatsächlich war. Der Marxismus war ein politischer Fetisch, eben ein sehr abstrakter Begriff der sowjetischen Ideologie. Der frühe Marx war uns da übrigens nicht näher als der späte. Wir haben uns ganz einfach nie wirklich für seine Schriften interessiert.

Dann war der Marxismus vielleicht nur so etwas wie ein Teil von dem Müll der sowjetischen Ideologie. Warum fehlt er dann in deinen Müllsammlungen, Ilya? War er in der Form nicht ein Teil des sowjetischen Alltags?

Ilya Kabakov: Marx war nur ein Gesicht, eins von diesen Gesichtern auf den Plakaten, so wie Engels, Lenin und Stalin. Eben einer der Namen, einer der Theoretiker, die man nie wirklich gelesen hat. Somit war er auch kein Teil „unseres Lebens“, sondern Teil des „offiziellen Programms“. Der Müll dagegen ist ein Ergebnis der Ideologie.

Ich möchte gerne noch ein anderes Beispiel aus der „Deutschen Ideologie“ erwähnen: nämlich die Stelle, an der Marx sagt, dass Sprache die materielle Grundlage des Bewusstseins ist oder anders ausgedrückt, dass die Sprache das Bewusstsein produziert. Ist das nicht der Grund, warum in deinen Arbeiten immer wieder diese unzähligen Stimmen, fiktive Personen und Kommentare der anderen auftauchen? Kann vielleicht dadurch, dass unser Denken durch die Sprache entsteht, gar keine lebendige Kommunikation zustande kommen?

Ilya Kabakov: Ich weiß gar nicht, was eine lebendige Kommunikation sein soll, denn wir sind doch immer von kommunikativem Müll umgeben, egal jetzt ob von außen oder von innen.

Glaubst du, dass man sich diesem Dreck irgendwie entziehen kann, vielleicht dadurch, dass man schweigt.

Ilya Kabakov: Nicht im geringsten!

Kurze Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat Jacques Derrida angefangen über die Gespenster von Marx zu sprechen und kam zu einem merkwürdigen Ergebnis: nämlich, dass der Kommunismus nicht sterben kann, weil er nie gelebt hat. War etwa der „real existierende Kommunismus“ ebenfalls nur ein Teil von diesem Spuk, eine gespenstige Erscheinung?

Ilya & Emilia Kabakov: Das Wort “Kommunismus” hatte für uns nie eine Bedeutung und war auch nie real. „Kommunismus“, das war nur ein Name für eine Märchen, eines unter vielen.

So was wie das Märchen von der Befreiung der Menschheit?

Ilya & Emilia Kabakov: Eher wie alle russischen Märchen. Das sind Hirngespinste, denen man unterschwellig misstraut.

Nun gibt es für Derrida so etwas wie gute und böse Geister von Marx. Die bösen heißen „Diktatur des Proletariats“, „Einheitspartei“, „totalitären Staat“ usw. Der gute Geist spricht natürlich auch durch ihn bzw. durch die Dekonstruktion und ist, etwas verkürzt gesagt, eine radikale Kritik. Ilya, sind deine frühen Arbeiten, wie z.B. die „Alben“ nicht auch solche Gespenstergeschichten in diesem Geiste Marx´?

Ilya Kabakov: Ich kann das in Bezug auf Marx wirklich schlecht sagen. Das sind doch immer sehr persönliche Sichtweisen. Autoren oder Künstler gebrauchen eben freie Assoziationen. Wenn du nun als Betrachter oder Leser das Gefühl hast, da eine Verbindung zu Marx herstellen zu können – sehr gut. Das spricht aber zunächst einmal nur für die kreativen Phantasien des Betrachters oder die großartigen Möglichkeiten, die die Kunst uns bietet.

Verstehst du deine Arbeitsweise als radikale Kritik?

Ilya & Emilia Kabakov: Nein, wir betrachten das Leben und unsere Existenz mit leiser Ironie. Unsere Arbeitsweise ist bestimmt nicht radikal und keine Kritik, denn jede Form von Kritik ist auch ein Versuch der Rechtfertigung.

Marx hätte hier sicherlich geantwortet, dass nicht die Kritik, sondern die Revolution die treibende Kraft der Gesellschaft ist. Sind Revolutionen überhaupt möglich? Ich frage jetzt lieber mal nicht, ob sie denn überhaupt wünschenswert wären.

Ilya Kabakov: Das ist doch das Gleiche, wie wenn man fragen würde, ob der Regen möglich ist. Das ist „Klima“. Es regnet oder es regnet nicht, so ist das auch mit der Revolution. Wir haben das einfach nicht in der Hand.

Vielleicht noch eine abschließende Frage zum Gespenst. Ist nicht eure Kunst, vor allem im Westen, eine Art Geisterbeschwörung? Ihr baut in Euren Installationen immer so etwas wie ein Schloss, wenn auch ein sehr schäbiges, in dem dann die Geister des Kommunismus herumspuken dürfen: sozusagen Stimmen und Musik aus einer anderen Welt.

Ilya & Emilia Kabakov: Das kann man so sagen. Ganz generell ist unsere Kunst allerdings ein Ausdruck des Misstrauens gegenüber der realen und nicht nur der sowjetischen Welt.

Wie sieht es mit dem Thema des Gespensts selbst aus? Ist die Welt oder „eure“ Welt so eine gespenstige Masse oder Erscheinung?

Ilya & Emilia Kabakov: Unsere Welt ist die Welt der Abwesenheit und zwar zugleich einer Abwesenheit der realen Personen und der Gespenster. Die Bewohner unserer Welt sind gegangen, „nicht hier“. Und in solch einer Welt sind auch die Gespenster nur Bilder und somit auch keine „wirklichen Gespenster“.

War Marx möglicherweise nicht mehr ein utopischer, sondern bereits ein postutopischer Denker? Er hat zwar ständig versucht, die Ideologien zu entlarven – durch die berühmte Erkenntnis, dass die Basis von allen Ideologien die Produktion bzw. die materiellen Lebensverhältnisse sind – aber trotz dieser Erkenntnis wuchern diese Ideologien immer noch weiter und sind bis heute nicht verschwunden. Das beste Beispiel war ja die Sowjetunion selbst.

Ilya & Emilia Kabakov: Vielleicht ist Marx postutopisch, vielleicht ist er das nicht, die Utopie selbst wird jedenfalls, solange es Menschen gibt, nicht verschwinden. Wir sind alle dazu verdammt, die Utopie zu leben.

Vor einiger Zeit habe ich mit Dmitri Prigov über die Ideologie gesprochen. Er versucht ja ständig alle möglichen Ideologien zu entlarven, tut das aber, indem er gleichzeitig eine Art privater Ideologie, so etwas wie „Prigovs Welt“, aufbaut. Wie ist das bei euch mit der Ideologie?

Ilya & Emilia Kabakov: Wir haben keine eigene ideologische Welt. Das Interessante ist doch nicht das Subjekt der Ideologie, sondern das Objekt. Unser Thema ist „Wie kann man in einer Welt der Ideologie überleben?“, ist das selbst eine Ideologie?

Lasst uns vielleicht generell über die Utopie und euer Projekt einer utopischen Stadt sprechen. Es ist häufig behauptet worden, dass die realisierte kommunistische Utopie die Kommunalwohnung war. Das passt ja auch ganz schön zu einer anderen Äußerung von dir, Ilya, dass nämlich Utopien im utopischen Bereich verbleiben müssen, ansonsten würde man die Hölle auf Erde errichten. Gilt das nicht auch für die Utopien der Kunst?

Ilya & Emilia Kabakov: Die Kunst war immer schon ein Ort an dem utopische Projekte realisiert werden können. Für alle utopischen Projekte wäre es wohl am besten, wenn Sie nur im Reich der Kunst verwirklicht würden. Wir finden praktisch alle diese utopischen Fantasien bereits in den Geschichten von Hans Christian Andersen und da sollten sie auch wohl besser bleiben.

War nicht die Kommunalwohnung so eine Realisierung der kommunistische Utopie „Gleichheit und Freiheit in Elend und Armut“?

Ilya & Emilia Kabakov: Ganz bestimmt nicht. Wer das behauptet, verwendet eine absolut unkorrekte Metapher.

Im westlichen Verständnis ist die Idee der Kommunalwohnung aber häufig so genannt worden. Was ist so falsch an diesem Vergleich bzw. warum glaubst du, dass es sich dabei um eine „absolut unkorrekte Metapher“ handelt? Ist der Vergleich zynisch?

Ilya & Emilia Kabakov: Es gab wohl zwei Gründe für diesen Vergleich, denn die Kommunalka und der Kommunismus haben einen gemeinsamen Kern. Der größte Fehler ist aber, die Kommunalka mit der Kommune zu verwechselt. Was eine Kommune ist, weiß man im Westen natürlich ganz genau, die „Kommune“ ist ja eine Idealvorstellung des 19. Jahrhunderts: man lebt zusammen, teilt alles und alle sind eine Familie. Das Ziel der Kommunalka war sicherlich nie, dass man als nette Kommune zusammenleben soll. Das ist so ähnlich, wie wenn man in einem Gefängnis diejenigen Insassen in eine gemeinsame Zelle sperren würde, von denen man annimmt, dass sie nett zueinander wären Die Zusammenstellung der Bewohner in der Kommunalwohnung geschah gewaltsam und wahllos. Man hat den Menschen versprochen, sie würden bessere und größere Wohnungen bekommen. Das Leben in der Kommunalka war lediglich das Ergebnis einer Wohnungskrise. Der Vergleich selbst ist nicht zynisch, es handelt sich wie meistens um einen ideologischen oder philosophischen Fehler.

Obgleich ich jetzt nicht alle Einzelheiten eures Projekts kenne, scheint mir das bisherige Scheitern der Umsetzung – Essen will ja aus unerfindlichen Gründen die „Utopische Stadt“ nicht mehr – doch zum Projekt selbst zu gehören. Ilya, du hast im Gespräch mit Boris Groys mal gesagt, die gesamte Geschichte Russlands sei eine Geschichte erfolgloser Projekte, wozu natürlich die russische Avantgarde selbst gehöre. Ist die „Utopische Stadt“ möglicherweise solch ein avantgardistisches Projekt?

Ilya & Emilia Kabakov: Ja, möglicherweise, aber das wird sich wohl erst in der Zukunft erweisen. Im Augenblick sieht es für uns so aus, als wäre unser Projekt nur ein Projekt und das bleibt wahrscheinlich auch so.

Ich möchte noch einmal auf die Frage nach der Kunst als Ort der Utopie zurückkommen. Das Wort Utopie bedeutet doch eigentlich „außerhalb von Raum und Zeit“. Die Kunst selber, zumindest im westlichen Kunstsystem, findet aber doch an bestimmten Orten statt, in Museen, in Ausstellungshäusern, Theatern etc. Da würde ich Marx folgen und sagen, das sind doch Produktionsapparate und es gibt eine so genannte Kulturindustrie, die das künstlerische Bewusstsein produziert. Ihr kennt ja dieses System aus eurer jahrelangen Arbeit. Wo sind da die Räume für künstlerische Utopien bzw. wie bewegt ihr euch in diesem System, ohne euch seinen Zwängen zu unterwerfen?

Ilya Kabakov: Die (westliche) “Kulturindustrie” hat für mich etwas durchaus Positives, denn die „Kulturindustrie“ der Welt, in der ich zuvor gelebt habe, mochte ich gar nicht. Darüber hinaus mag ich die „westliche Kulturindustrie“, weil es darin so viel Platz für die unterschiedlichsten utopischen Projekte gibt Die werden zwar nicht immer realisiert, aber zumindest darin aufbewahrt. Und heutzutage müssen wir mehr an die Aufbewahrung als an die Umsetzung unserer Projekte denken.

Du hast dich mal als einen Künstler bezeichnet, der eher im Geiste der Romantik als der Moderne arbeitet, wobei man generell ja der Moderne viele romantische Züge bescheinigen könnte. Wenn schon, dann bist du aber ein Romantiker, der sozusagen durch die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts gegangen ist. Würdest du mir da zustimmen?

Ilya & Emilia Kabakov: Auf den ersten Blick hat natürlich jeder Totalitarismus romantische Züge, da reicht es wohl, den Faschismus zu erwähnen. Aber man muss da genauer hinschauen: Es gibt z.B. eine Romantik, die im wirklichen Leben umgesetzt werden soll und eine, die eine künstlerische Vorstellung bleiben möchte. Dann wieder gibt es eine Romantik, die für die gesamte Menschheit gelten soll und eine, die sich damit zufrieden gibt, in einer kleinen Gruppe zu verbleiben. Persönlich ziehen wir die Romantik einer kleinen Gruppe jener mit offensichtlich totalitären Absichten vor. Aber beide sind natürlich totalitär, die kleine sieht bloß nicht so schrecklich aus.

Da gibt es eine schöne Geschichte, die Maxim Gorki über Lenin erzählt hat: Nach dem Besuch eines Konzerts soll Lenin geäußert haben, es gäbe nichts Schöneres als die „Appassionata“ von Beethoven. Aber das verdecke sozusagen nur die schmutzige Hölle, in der wir leben, von daher dürfe man sich nicht einwickeln lassen von dieser Musik, sondern müsse den Menschen unbarmherzig auf den Kopf schlagen. Ich würde sagen, der erste Teil der Anekdote beschreibt den Romantiker, der zweite den Avantgardisten vom Typ Majakowskij. Du lehnst wahrscheinlich beide Typen ab?

Ilya & Emilia Kabakov: Ja, die sind beide sehr unangenehm. Kunst und Wirklichkeit sind zwei verschiedene Dimensionen. Die Kunst ist keine Decke und die Wirklichkeit ist kein Hammer.

Verschleiert die Kunst nicht immer die „schmutzige Hölle“ in der wir leben bzw. ist das Leben denn nicht generell eine „schmutzige Hölle“?

Ilya & Emilia Kabakov: Das mag schon sein, aber darum geht es ja gar nicht. Es geht um das Verständnis eines Unterschieds zwischen Leben und Überleben. Für uns im Westen ist Leben eben „leben“. In der Sowjetunion, in Russland und all den anderen Orten wie diesen, ist es immer ein Überleben. So sind Vorstellungen wie die vom Leben als „schmutzige Hölle“ oder „Paradies“ eben nur Vorstellungen.

Derrida hat sein Buch über Marx als Antwort auf die Frage „Wither Marxism“, „Wohin geht der Marxismus“ geschrieben: Ich möchte die Frage an euch weitergeben. Gehört der Marxismus auf den Müllhaufen oder wo würdet Ihr ihn gerne sehen?

Ilya & Emilia Kabakov: Vielleicht antworte wir so: Die Tatsache, dass die marxistische Ideologie in der Sowjetunion keinen Erfolg hatte, könnte ein Garant dafür sein, dass der Marxismus ein Comeback feiern wird. Gerade der Misserfolg ist doch häufig ein Ansporn. Ich sage häufig, nicht immer, aber wahrscheinlich. In Russland geht so etwas eigentlich immer schief und das ist leider nicht besonders stimulierend für die russische Bevölkerung.