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Intro/ Interview/ Biografie/

„Sicher ist, dass ich kein Marxist bin. So sagte, wie wir uns erinnern vor langer Zeit, jemand, dessen geistreichen Scherz Engels überliefert. Muss man sich noch auf Marx berufen, um zu sagen: „Ich bin kein Marxist?” Woran erkennt man eine marxistische Aussage? Und wer kann noch sagen: „Ich bin Marxist”?”
Jacques Derrida

Theorien brauchen Körper

„Sicher ist, dass ich kein Marxist bin“, diesen Scherz soll sich Karl Marx laut Friedrich Engels erlaubt haben. Können Sie von sich sagen „Ich bin ein Marxist“ oder „Ich bin kein Marxist“?

Fritz J. Raddatz hat einmal ein Buch herausgebracht, in dem verschiedene Herren – ich glaube auch der Biermann – gefragt wurden, warum sie Marxisten sind. Ich habe dem Raddatz damals geschrieben, es wär' doch wohl eher angebracht, mich zu fragen, warum ich Christ bin, dass ich Marxist bin, ergibt sich ja aus meiner Biografie. Ich fand es nicht sehr originell, mich zu fragen, warum ich Marxist bin, denn mein OEuvre, wenn man so hochgestochen sprechen will, ist vollgepfropft mit christlichen Anspielungen, ich lese die Bibel lieber als das Kapital. Ich habe eine große Kreuzigung gemacht, ich habe allerdings auch einen kleinen Marx gemacht. Es wäre demnach blanke Angeberei, wenn ich sagen würde, dass ich ein wissenschaftlicher Marxist bin, ich bin gefühlsmäßig Marxist. Engels hab’ ich viel gelesen, denn Engels war für mich lebendiger als die Wirtschaftstheorien von Karl Marx. Ich bin eher Marxist aus Prinzip, weil ich unter Marxisten aufgewachsen bin; mein Vater ist etliche Mal unter dem Austrofaschismus und dem Nationalsozialismus verhaftet worden. Die Familie kommt aus einem, wenn ich so sagen will, notgedrungenen marxistischen Gedankenbereich. Es fällt mir auch heute noch schwer irgendeiner Regierungspartei beizupflichten. Und wenn ich sage, ich bin Marxist aus Prinzip, dann heißt das auch, dass ich nie einer Regierungspartei, seien das jetzt die Sozialisten oder wer auch immer, beigetreten bin. Das war nicht meine Sache.

Sie haben vier Jahre lang an Ihrem Friedrich-Engels-Denkmal gearbeitet. Es war der größte Block, den Sie je bearbeitet haben. Engels war bekanntlich in vielerlei Hinsicht pragmatischer als Marx. Sätze wie „Ihr habt nichts zu verlieren, als eure Ketten!“ zeigen ihn als den eigentlichen orthodoxen Marxisten. Wen von beiden schätzen Sie persönlich mehr, den Pragmatiker Engels oder den facettenreichen Marx?

Also schätzen tu’ ich beide. Die Briefwechsel zwischen Marx und Engels habe ich wahnsinnig gerne gelesen, die haben mir gefallen, das war was Lebendiges. Rein visuell hat mir auch immer sehr gut gefallen, dass die beiden, wenn der Engels den Marx in London besucht hat, immer durchs Zimmer auf- und abgegangen sind und dabei Spuren hinterlassen haben. Sie haben sozusagen eine Rinne in den Boden geredet. Schon rein optisch konnte man also sehen, dass diese zwei Leute Wegbereiter der Arbeiterbewegung waren. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, wo der Marxismus ein großer Impetus für die Arbeiterbewegung war. Von daher kommt auch meine Zuneigung zu Marx. Ich glaub’, Marx ist einer der wenigen Literaten, die die ganze Welt beeinflusst haben und zwar nicht in dem Sinne, dass jetzt alle bekehrt oder zu Marxistenheiligen wurden. Auf Marx beruft man sich nicht wie auf Jesus Christus, der für mich zum Beispiel keine historische Figur ist. Jesus Christus ist für mich eine literarische Figur. Marx ist keine literarische Figur, sondern eine tatsächliche Figur, die mit großen Schwierigkeiten gekämpft hat und als Anreger, aber auch als theoretischer Fundamentalist, war zweifelsohne Marx eine so enorme historische Größe, dass man sich, wenn man als junger Mensch ein wenig Temperament hat, dieser Faszination nicht entziehen kann. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich als Professor an der Akademie immer in so einem komischen Zwiespalt war, da ich nicht als marxistische Autorität auftreten wollte bzw. angetreten war. Ich hab’ mich immer selbst einen Marxisten genannt, der eine von Staats wegen bezahlte Vaterfigur ist. Und als bezahlte Vaterfigur habe ich z.B. mit den 68ern oft Streit bekommen, denn ich wollte nicht die Rolle spielen, die man mir eigentlich zugedacht hatte. Es gab so strenge Marxisten, die die ganze Kunst zum Teufel wünschten. Ich bin vor allem ein Künstler und habe den Marx in Streitgesprächen gern als Querschuss genommen. Die 68er waren ja nicht alle Marxisten und in Diskussionen mit denen war ich dann plötzlich der Marxist. Ich habe also Marx als Provokation sehr gerne gehabt, nicht weil ich ein so kluger Marxist war, aber die Provokation „Marx“ hat mir sehr, sehr gefallen. Ich bin nicht in eine Schublade zu verbannen und überlege mir nicht bei jedem Wort, ob das jetzt marxistisch ist oder ob das jetzt religiös ist oder sonst was. Und ich bin sehr viel auf Hochschulen herumgereicht worden und da haben die Leute schon so einhaken wollen „das ist aber nicht marxistisch“. Hab’ ich gesagt, ich bin ja hier nicht hergekommen, um Marx zu lehren, sondern um mich mit euch auseinandersetzen. Und ich finde, dass die Auseinandersetzung wahrscheinlich das ist, was mich an Marx wirklich fasziniert hat. Nehmen wir den Persönlichkeitskult; Marx ist natürlich auch eine Kultfigur, das ist klar, aber ich muss ihn nicht wortwörtlich übersetzen und wortwörtlich mich an Spielregeln halten. Wir haben ja das Gegenstück, das hört sich jetzt vielleicht dumm an, aber am besten ham’ mir die Nazis gefallen, als dem Hitler seine Todesmeldung durchs Radio gekommen ist. Es hat keine einzige Sau geweint. Ich hab’ keinen Nazi gesehen, dem die Tränen runtergeronnen sind und hab’ mich gefragt, warum die Leute eigentlich so fanatische Nazis waren. Ich hab’ mich eben nach dem Verschwinden des Nationalsozialismus als große staatliche Autorität gewundert, was die Leute so an Hitler berührt hat. Wenn ich jetzt hin und wieder einen Hitlerfilm noch sehe, dann frage ich mich das wieder. Es ist blödsinnig, es ist schwer zu erklären. Ich hab’ da ein Foto gesehen, den Hitler in Lederhosen, den Marx hab’ ich nie in Lederhosen gesehen. Der war nicht von dieser absurden Volkstümlichkeit. Das hab’ ich ja eben am Marx gern gehabt, ich habe Marx immer verteidigt gegen Volkstümlichkeit. Mich hat an Marx und Engels immer fasziniert, dass sie ein wenig etwas Prophetisches gehabt haben. Marx ist wieder im Kommen, denn die Leute sind nicht dumm und tun so als ob der Marxismus irgendein Spleen der Linken gewesen wäre. Marx war eine Art Rabauke, ein Mann, der die kapitalistische Welt richtig angegriffen hat und das ist das Große an ihm.

Sie kennen vielleicht den berühmten Satz mit dem „Die Ordnung der Dinge“ von Foucault endet: „Man kann sehr wohl wetten, dass der Mensch verschwindet, wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“. Der Mensch ist kulturgeschichtlich für Foucault eine relativ junge Erfindung irgendwann aus dem 16. Jahrhundert. Ihnen wird der schöne Satz zugeschrieben: „Das anpassungsfähige Meerschwein Künstler hat den Menschen eliminiert“. Was meinen Sie damit?

Das Meerschwein Künstler?

...hat den Menschen aus der Kunst eliminiert, das bezieht sich natürlich auf das Aufkommen der abstrakten bzw. gegenstandslosen Kunst.

Es heißt immer, der Hrdlicka ist nicht gegenstandslos, sondern gegenständlich, was völlig blödsinnig ist, denn ich hab’ mich nur um Menschen gekümmert, um Gegenstände kümmern sich die Abstrakten. Die machen Ringerln, Schnecken, Viereckerln, Dreieckerln und was ihnen gerade so über den Weg rennt. Als ich einmal in der DDR war, gab es dort natürlich schon eine Opposition, die die Westkunst vertreten hat. Und zu denen hab’ ich gesagt, was redet ihr für einen Blödsinn, gegenständlich oder antigegenständlich. Ich bin nie ein gegenständlicher Künstler gewesen, denn ich habe immer nur Menschen gemacht. Diese menschliche Seite hat mir übrigens auch an Marx gefallen, das waren eben nicht nur Theorien. Theorien können zu einem Gegenstand werden, aber sie können den menschlichen Verstand auch verunsichern und dass er sich häufig selbst verunsichert, schätze ich sehr am menschlichen Verstand. Ich bin ja auch ein verunsicherter Marxist, das kann ich wohl sagen. Ich bin kein Paradebeispiel für einen Marxisten, aber ich verkörpere die Dynamik, die vom Marxismus ausgeht und der ist alles andere als tot.

Ihr Lieblingsmeerschweinchen ist sicherlich Piet Mondrian. Mit „Roll over Mondrian“ formulierten Sie vor 40 Jahren Ihr Programm gegen den Absolutheitsanspruch der Abstraktion. Wobei „Neue Gestaltung“ von Mondrian wie so viele Programme und Manifeste der Avantgarde auch auf den Menschen abzielt, ihr Gegenstand war ganz einfach der neue Mensch bzw. der Mensch der Zukunft. Das klingt doch wieder ganz nach Marx und der Utopie einer kommunistischen Gesellschaft. Ist für Sie der neue Mensch eine Perversion oder haben die Avantgardisten nur den falschen Weg eingeschlagen?

Ich habe eine große Stalinbiografie gelesen und finde, dass es eigentlich ein Unsinn ist, den Stalin – diesen, wie soll man sagen, handfesten Verwirklicher des Marxismus – zu verdammen. Er hat mit allen Mitteln der Macht versucht – und er ist ein Machtpolitiker gewesen – den Marxismus in die Praxis umzusetzen. Das war sicher eine schaurige Sache, aber noch lange keine so blödsinnige Sache wie die der USA, wenn sie den Irak überfällt. Ich wurde jahrelang hier in der Presse und auch in Deutschland als ein Stalinist bezeichnet, weil ich solche Sachen gesagt hab’, selbst die Kommunisten wollten mich nicht, aber ich bin ja kein Stalinist, weil ich wo eingeschrieben bin. Mir hat die Tatsache gefallen, dass übersetzt wird in die Realität. Und dazu gehört große Herzlosigkeit, das kann man durchaus sagen. Aber wenn ich sage, ich bin Marxist, so bin ich auch wirklich ein heimlicher Stalinist, der weiß, dass Theorien Körper brauchen. Die müssen umgesetzt werden, oft sind es dann sehr blutige Körper. Aus der Sache etwas zu machen, wie soll man sagen, dazu ist der Körper geschaffen. Groß an Stalin ist, dass er den Zweiten Weltkrieg gewonnen hat. Aber das hört man nie gern, da tut man so, als wäre es eine Zufallslösung, dass die Rote Armee in Wien einmarschiert ist. Es war kein Zufall, sondern es war der lange Arm der Stalinisten und in Stalingrad ist ja auch schließlich die entscheidende Schlacht geschlagen worden. In meiner ersten Autobiografie habe ich geschrieben, Stalinisten könnten auch einer anderen Religion angehören. Der Wille, Theorie in Praxis umzusetzen, ist eine unheimliche Sache, das wissen die Christen am besten, die selbst eine blutige Geschichte haben. Sie nur zu verdammen, damit man gut ausschaut, halt’ ich für Blödsinn.

Aber auch unter Stalin war es natürlich so, dass man den Menschen eine neue Menschheit versprechen musste, denn das, was dann tatsächlich in die Praxis umgesetzt wurde, war so blutig und monströs, dass man die Leute nur darauf vertrösten konnte, dass „die nächste Generation sowjetischer Menschen dann im Kommunismus leben werde“, wie Chruschtschow einmal so schön gesagt hat. In diesem Zusammenhang hab ich vorher Mondrian erwähnt, der ja auch immer wieder vom neuen Menschen spricht

Die Größenordnung zwischen Stalin und Mondrian, die will ich nicht ausmessen. Mondrian ist ein netter Mensch, mehr kann ich dazu nicht sagen. Und halt immer, dass er all die Bilder mit Farben gemalt hat und nicht mit Blut. Stalin hat mit Blut geschrieben und die Umsetzung einer Idee passiert nun einmal nicht zufällig.

Marx und Engels „Manifest“ beginnt mit einem Gespenst und endet mit der Aufforderung an die proletarischen Massen, sich zu vereinigen.

Ja, ein sehr schöner Satz.

Die Emanzipation der Masse war ein Teil des Programms der Moderne. Die Masse sollte politisches Subjekt werden. Ihr Freund Elias Canetti hat hierfür keine so schmeichelhaften Worte gefunden, Peter Sloterdijk hat ihn einmal als „Anarchisten des anthropologischen Denkens“ bezeichnet. Das, was wir Massengesellschaft nennen, ist für Canetti eine physische Erfahrung: Masse an Körpern, Menschenschwärze, potenziell gewalttätige Masse. Trotzdem sind Sie laut Canetti nie zu einem Verächter der Massen geworden. Gibt es gute und schlechte Massen?

Das kommt auf die Situation an. Die Masse ist für mich – also hier muss ich sagen, hier bin ich Marxist – die eigentliche schöpferische Kraft. Auch im Negativen natürlich. Wenn man allerdings überlegt, was alles im Namen der allgemeinen Beglückung gesagt wird, dann ist das natürlich häufig ein übles Versprechen, denn selbst die simpelsten Werbefilme im Fernsehen gehen immer davon aus, dass die Masse beglückt werden will. Dieses Spiel mit der Masse finde ich ehrlich gesagt widerlich. Ich dreh den Fernseher kaum auf, aber wenn ich ihn aufdreh und dann sehe, wie unglaublich um die Masse gerungen wird, dann finde ich, dass das Werben um die Masse derartig herabgesunken ist; man darf das wirklich nicht mit Marx vergleichen.

Man schmeichelt der Masse. Man versucht nicht mehr die Masse zu erziehen, nicht mehr, sie zu belehren und auch nicht, sie zu verändern. Die Masse soll zum politischen Subjekt werden, aber ohne Anstrengung. Canetti bezeichnete Sie als Chaotiker im Gegensatz zum Destillierer, mit dem Desillierer ist eindeutig wieder der Avantgardekünstler gemeint, der sich um eine abstrakte Neugestaltung des Lebens bemüht. Wie steht der Chaotiker zum Wunsch der Massen nach Emanzipation, nach, wie Peter Sloterdijk es genannt hat, dem „Traum der schwarzen Masse nach Helligkeit“?

Wenn es einen Schrecken für die Masse gibt, dann ist es die Anwerbung der Masse. Die Anwerbung der Masse hat einen fast widerlichen Beigeschmack, weil sie sich gar nicht verstellt. Der oberste Chef von Fewa oder was weiß ich, was es für Spülmittel gibt, hält die Masse Mensch für blöd, weil die noch gar nicht weiß, dass jetzt ein Produkt am Markt ist, das alle glücklich macht. Da ist mir schon der Marx lieber – es gibt doch diesen Ausspruch „der Krieg ist der Vater aller Dinge“ - wenn er sagt „der Klassenkampf ist der Vater aller Dinge“. Wenn ich jetzt aber im Fernsehen sehe, wie das dahinrauscht, da kann ich nur sagen, „die Werbung ist der Vater aller Dinge“, nicht der Krieg und nicht die Menschen. Dieser Pulsschlag der Masse hat ja was Faszinierendes. Es ist faszinierend, wenn ich denk’, dass es solche Idioten am Fernsehschirm gibt, die wirklich glauben, dass man für sie Gutes tun will. In Wahrheit will man sie nur bestehlen und ausbeuten. Und Marx ist eindeutig gegen diese Ausbeutung der Masse. Die Ausbeutung der Massen ist etwas ganz Übles, es ist mir fast körperlich zuwider.

Parallel zu diesem Aufkommen der Masse in der modernen Gesellschaft hat sich eine eigene Kultur entwickelt, die Massenkultur. Clement Greenberg nannte diese Welt der Groschenromane, der Schlagermusik, von Stepptanz und Hollywood-Filmen etc. Kitsch und grenzte davon die Avantgarde als reine Kunst ab. Wie würden Sie Kitsch definieren? Ich variiere jetzt mal Adolf Loos: Ist Kitsch für Sie ein Verbrechen?

Nein! Es gibt nichts was so eine Wirkung hat. Ich glaube, die Kunst kann auch ohne Kitsch nicht auskommen. Meine Frau will mich sogar zu Kitsch verführen, sie würde meiner Kunst schon gern eine Injektion von Kitsch geben, weil sie sagt, du kannst so unheimlich schöne Pastelle zeichnen, die haben eine Faszination und die Leute haben das gern. Nicht dass sie mich gerade zu schlechten Dingen anleitet, aber es ist etwas Wahres dran. Wenn ich zeichne, dann bin ich mein eigener Kontrolleur. Ich kontrolliere, wo sind die Grenzen der Verführbarkeit. Und Kunst ist natürlich auch eine Verführung. Nehmen Sie die Gegenreformation, die ist das größte Propagandawerk, das übertrifft noch, glaube ich, Ketchup oder weiß ich, was man fressen soll. Hier wurde Kunst so eingesetzt, dass sie wirklich von einer militanten Kraft war. Marx hat übrigens einen ganz scheußlichen Künstler verehrt, einen Bildhauer, er war ein Canova-Verehrer, wo mir schlecht wird, wenn ich das Zeugs sehe. Canova ist Kitsch, aber Kitsch hat eine Kraft. Kunst ohne Kitsch wäre ein totes Ding, weil Kitsch den menschlichen Bedürfnissen doch sehr entgegenkommt. Die Verführbarkeit der Massen ist etwas sehr Schönes und die Verführung der Masse steckt ja ein wenig im Marxismus drinnen. Nur nicht auf kitschige Art, sondern auf aufklärende Art. Daher halte ich das Verdammen von Kitsch für einen Unsinn. Außerdem, auch wenn ich ihn abschaff’, der existiert sowieso. Ich mach’ halt keinen Kitsch oder begrenzten Kitsch. Ich bin ein Jongleur, der an der Grenze zum Kitsch wandert, das ist sicher meine Kunst.

Ich habe übrigens neulich einen sehr schönen Text von Jean Baudrillard gelesen, „Der Teufel der Leidenschaft“. Baudrillard vergleicht darin die Verführung mit der Liebe, die für ihn das Pathos der Moderne darstellt, nämlich den Wunsch nach einer universellen Harmonie. Die Verführung dagegen ist wie ein Duell oder wie eine Herausforderung. Allerdings gibt es für Baudrillard auch kein Reales, die Verführung ist sozusagen die Hüterin dieses Geheimnisses. Peter Weibel hat im Gespräch mit mir einmal darauf hingewiesen, dass man z.B. auch ohne die Anwesenheit des Anderen beim virtuellen Sex zum Orgasmus kommen könne.

Es ist nett gesagt vom Weibel, aber der Verführung durch Fleisch kann man nichts entgegensetzen, in jeder Hinsicht, sei es jetzt sexuell oder visuell. Die Verführung ist eben eine große Sache, moralisch bin ich gegen Verführung, aber instinktiv find’ ich Verführung sehr schön, sehr gut.

Sie haben nicht nur in Ihren Aufeinandertreffen mit Joseph Beuys immer wieder den Kunstbetrieb, die Kulturbürokratie usw. angeprangert. Damit ist natürlich die Tatsache gemeint, dass in einer kapitalistischen Welt alles zur Ware wird, nicht nur das Kunstwerk, sondern eben auch der Mensch selbst. Haben Sie bei aller Abneigung gegen Utopien wenigstens eine Vorstellung von einer proletarischen Kultur jenseits der kapitalistischen Konsumkultur?

Ich kann mir die proletarische Kultur ohne Prostitution schwer vorstellen. Die Prostitution ist eine sehr reale Sache, wie man so sagt, das älteste Gewerbe der Welt. Nein, ich würde sie sehr vermissen. Vis à vis von meinem Haus am Casanova hab’ ich ein Stück Vermarktung des Fleisches erlebt. Ich bin ganz gern hingangen, es ist jetzt zugesperrt. Da saßen die Ukrainerinnen, die Slowakinnen, die Tschechinnen, alle saßen drinnen und boten sich an. Ob sie gezwungen wurden zur Prostitution oder nicht steht jetzt nicht zur Diskussion. Aber die Prostitution ist eine großartige Erfindung, weil sie dem Intellekt irgendwo ein Schnippchen schlägt. Die Prostitution zeigt, dass das Fleisch noch immer stärker ist als alle Moralpredigten.

Vom jungen Hegel stammt der schöne Satz, dass der Mensch eine Nacht sei. Die ganze Stelle lautet: „In phantasmagorischen Vorstellungen ist es ringsum Nacht; hier schießt dann ein blutiger Kopf, dort eine andere weiße Gestalt hervor und verschwinden ebenso. Diese Nacht erblickt man, wenn man dem Menschen ins Auge blickt – in eine Nacht hinein, die furchtbar wird; es hängt die Nacht der Welt hier einem entgegen.“ Können Sie mit dem Satz etwas anfangen?

Zum Teil, zum Teil ist mir die Tendenz verdächtig. Man lebt ja in einer realen Welt. Was soll ich Ihnen sagen, die Wut aufs Fleisch ist natürlich vor allem eine Unterdrückungsmethode. Wenn ich das Fleisch verdamme, stehe ich gut da. Das ist dumm. Ich müsste meine Kunst sofort verdammen, wenn ich das Fleisch verdamme. Denn meine Kunst ist Ausdrucksträger durch Fleisch, durch Sinnlichkeit, Fleisch ist nicht immer das tragende Element dabei, sondern das ist die Unheimlichkeit der Faszination. Ja, das ist es. Die Unheimlichkeit der Faszination, die Fleisch anbietet, ist eine ganz großartige Sache. Auch die Auferstehung Christi ist ja eine kuriose Fleischwerdung. Er fürchtet sich vor seiner Hinrichtung am Kreuz und das war die barbarischste Hinrichtung in dieser Zeit, aber gesiegt hat dann doch das Fleisch, das Blut, das herunterrinnt, die zerschlagenen Knochen, die Dornenkrönung usw. Ohne diese Drastik wäre Religion nicht weit gekommen. Als ich den straßenwaschenden Juden gemacht habe, haben sich viele Juden aufgeregt, dass dort Juden knien und die Straße waschen mussten. Das ging sogar so weit, dass manche Juden behauptet haben, das habe gar nicht stattgefunden. Was völliger Unsinn war, es war für jedermann sichtbar. Der Nachbar ist gekommen, hat gesagt, was weiß ich „Gruber“ oder wie immer der Jude geheißen hat, „Jetzt sieht er, was die Realität ist. Er war immer so gescheit und klug usw. aber wenn er den Dreck von der Straße wegwaschen muss, dann ist er plötzlich einer der unseren.“ Ich hab’ genug mitgemacht mit meinem Straße waschenden Juden. Dass das Fleisch so erniedrigt wird, ist eine sehr absurde Sache, aber es ist auch eine saftige Sache. Es war sicher auch eine Art sinnlicher Wohlgenuss, dass man gesehen hat, wie die Juden erniedrigt werden.

War das Erfolgsrezept des christlichen Glaubens, dass man den Gläubigen nicht nur die Auferstehung des Geistes, sondern auch die des Fleisches angeboten hat?

Erniedrigung kann ja auch ein Siegeszug sein. Die christliche Religion hat aus der Erniedrigung von Christus einen Siegeszug gemacht, wobei für mich Christus, wie gesagt, keine historische Figur, sondern eher eine Fata Morgana ist. Die Erniedrigung des Fleisches hatte eine derartige Durchschlagskraft, das ist ja auch das Erfolgsrezept vieler Religionen. Die Christen haben aus der Tatsache, dass das Drama des Fleisches den Geist weit überflügelt, eine enorme Intelligenz entwickelt.

Wir sind jetzt sehr weit von Marx abgekommen. Zum Schluss würde ich Sie gerne fragen, warum Sie aus der Kommunistischen Partei ausgetreten sind. Der Anlass war, soviel ich weiß, der Aufstand in Ungarn. Haben Sie damals erkannt, dass das kommunistische Projekt des Marxismus-Leninismus gescheitert ist?

Ich habe Marx physisch begriffen, von daher hab’ ich mich immer lustig gemacht über die ewigen Auseinandersetzungen in der Partei – ich war ja Mitglied der Kommunistische Partei – diese Streitsucht, die war wirklich körperlich fühlbar gewesen. In der Nacht sind wir häufig plakatieren gegangen oder haben sonst irgendwelche Sachen angestellt; wenn ich danach in eine Parteiversammlung hineingekommen bin und gesagt hab’ „Grüß Gott Genossen“, das hat die Genossen vom Sessel gerissen, die haben gesagt, bei uns heißt das „Freiheit“. Hab’ ich gesagt, ich grüß immer mit „Grüß Gott“ und wenn ich meinen Hausbesorger triff, sag’ ich ja auch nicht zu ihm „Freiheit“. Das wäre sehr komisch für den Hausbesorger, ich hab’s einmal versucht und der hat so gesagt „Die Tür ist ja aufgesperrt, das Haustor ist offen, Herr Hrdlicka, Sie sind in der Freiheit“. Er hat’s nicht so gesagt, sondern „Hrdlicka, sind wir auch ohnehin a freier Mensch“. Also, sehen Sie, ich habe Marx immer auch im Alltag gern gehabt und die Parteidisziplin war für mich immer ein Stück Albernheit. Denn wenn ich als österreichischer Staatsbürger „Grüß Gott“ gesagt habe, dann war das ja kein religiöses Bekenntnis, sondern eine verbale Gewohnheit. Ich bin später, 1956, aus der Partei ausgetreten, weil sie mir zu scheinheilig wurde. Die KP hat den Ungarnaufstand am Anfang als eine innere Befreiung bezeichnet. Aber man hätte genauso gut sagen können, wir wollen die Macht, und hauen die anderen an die Wand.