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Iring Fetscher
Michael Hardt
Ilya & Emilia Kabakov
Slavoj Zizek
Peter Bürger
Alfred Hrdlicka
Wolfgang Fritz Haug
Jonathan Meese




 

Intro/ Interview/ Biografie/

„Wenn wir behaupten – zumindest als Hypothese – , daß das Dogma vom Ende
des Marxismus und der marxistischen Gesellschaften heute tendenziell ein „herrschender Diskurs“ ist, dann sprechen wir, wohlverstanden, immer noch
im marxistischen Code.“

Jacques Derrida

Die Erfindung eines neuen politischen Vokabulars

Du kennst vielleicht den berühmten Anfang der Asterix-Comics. Die beginnen ja immer mit den Sätzen: „Wir befinden uns im Jahre 50 v. Chr. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt...Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.“ Die Duke Universität in North Carolina scheint so etwas Ähnliches wie dieses gallische Dorf zu sein. Ein kleiner marxistischer Ort in Amerika, der der ihn umzingelnden rechten Ideologie Widerstand zu leisten versucht. Wie steht es wirklich um den Marxismus in Amerika?

In den Vereinigten Staaten ist der Marxismus an den Universitäten nach wie vor sehr lebendig. Sicherlich nicht in allen Fachbereichen, seltsamerweise mehr in den Literatur- und Kulturwissenschaften als in den Wirtschafts- und Politikwissenschaften. Wie auch immer, ich glaube, dass es bei uns in diesem universitären Kontext seit längerer Zeit eine Menge interessanter Arbeitsansätze zu Marx gibt. Auf die eine oder andere Art sind die mindestens so interessant, wenn nicht gar interessanter als die der europäischen Universitäten.

Spielt die Duke Unversität da eine führende Rolle, Fredric Jameson unterrichtet schließlich auch dort?

Meine Abteilung wurde von Fred Jameson gegründet. Also er hat, sagen wir mal, eine Menge Leute an der selben Universität zusammengebracht, die sich für Marx interessieren, aber ich würde nicht behaupten, dass dies die einzige Hochschule ist, die sich für Marx interessiert. Es ist ein eigenartiges aber sicherlich nicht neues Phänomen, dass man sich in den Vereinigten Staaten wesentlich mehr an den Universitäten für den Marxismus interessiert und sich mit ihm beschäftigt als in den Gewerkschaften oder sonstigen gesellschaftlichen Bewegungen.

Slavoj Zizek hat “Empire” mit dem Manifest der Kommunistischen Partei von Marx und Engels verglichen, euer Buch sei so was wie das „politische Manifest der Postmoderne“. Würdest du dem zustimmen?

Nein. Ich glaube auch nicht, dass Slavoj dem zustimmen würde (lacht). Das ist typisch, dass er zuerst gesagt hat, es sei mit dem Manifest vergleichbar und dann später meinte, es sei nicht mit dem Manifest vergleichbar. Für mich gibt es in vielen Punkten wirkliche wichtige Unterschiede: Ein Manifest sollte ein kurzer und, sagen wir, erklärender Text sein und das ist unser Buch offensichtlich nicht. Außerdem sollte ein Manifest das Programm für ein neues politisches Subjekt sein. Und dieses Programm können wir eben momentan nicht bieten. „Empire“ ist eher der Versuch, eine völlig neue Situation zu analysieren. So gesehen ähnelt „Empire“ viel eher dem „Kapital“ als dem „Manifest“, da es zusammenhängend zu erklären versucht, wie heute die globalen Strukturen von Macht und Produktion aussehen. Das heißt, wir können im Augenblick noch kein Programm oder gar Maßnahmen für die Umgestaltung vorschlagen aber genau das muss ein Manifest ja tun.

Es gibt ja tatsächlich viele Ähnlichkeiten: zwei Autoren schreiben ein Buch über die Widersprüche des globalen Kapitalismus, haben eine Vision von einer besseren Zukunft usw. Du hast mit Antonio Negri ein weiteres Buch, „Multitude“, geschrieben. Wie geht ihr bei eurer Arbeit vor? Gibt es da eine Rollenverteilung, ähnlich wie bei Marx/Engels oder Adorno/Horkheimer?

Ich sage dir einfach wie Tony und ich vorgehen und das trifft dann möglicherweise auf alle diese Gemeinschaftsproduktionen zu. Es gibt, glaube ich, eine Sache, die für alle diese verschiedenen Gemeinschaftsarbeiten, die mir einfallen, zutrifft: Wenn zwei Leute etwas zusammen verfassen, dann schreibt jeder einzelne so wie er oder sie sich die Stimme des anderen vorstellt. Aber das gelingt einem natürlich nicht vollständig. Und so schreiben beide in einer dritten Stimme, die weder die eigene noch die des anderen ist. Ich finde, das ist wirklich ein bemerkenswertes Phänomen. Es ist also nicht so, dass Tony und ich jeweils Teile schreiben, die dann zusammengeflickt werden, sondern jeder schreibt für sich in dieser imaginären Stimme und beide Versionen gehen dann zusammen. Das ist sozusagen der theoretische Teil des Ganzen. Konkret gehen wir so vor, dass wir, sobald wir wissen was wir wollen, zusammen ein Konzept entwerfen. Wir sitzen am Tisch, machen einen genauen Abriss des Ganzen und entscheiden, wer welchen Stoff im Entwurf schreiben soll. Wenn wir dann die ersten Entwürfe haben, tauschen wir die und überarbeiten was der andere geschrieben hat, lesen das Ganze wieder und wieder und tauschen und überarbeiten die Entwürfe nochmals, so dass wir am Ende gar nicht mehr wirklich wissen wer jetzt was geschrieben hat, weil die Entwürfe so oft getauscht und hin und her geschoben wurden.

Das ist ja interessant. Du weißt nicht, welche Passagen des Buches von dir stammen?

Ich weiß es wirklich nicht. Die einzigen Stellen, bei denen wir das wissen, sind diese kursiven Abschnitte, die wir Einschübe nennen. Die lassen sich eher zuordnen. Aber bei den anderen Teilen habe ich vergessen wer welche Idee hatte und wer was geschrieben hat.

„Empire“ beginnt zwar nicht wie das „Manifest“ mit einem Gespenst, das umgeht, aber ihr beschreibt eine gespenstische neue Weltordnung, das „Empire“. Begriffe, die Marx klar trennen wollte, vermischen sich bei euch. Ihr beschreibt z.B., dass aufgrund der Globalisierung eigentlich kein Außen mehr existiert. Warum beharrt ihr eigentlich darauf, dass es so etwas wie Ausbeutung nach wie vor gibt und vor allem, dass Widerstand gegen diese Ausbeutung möglich sei? Das ist doch sehr ungewöhnlich im Zeitalter der Postmoderne und war sicherlich mit ein Grund für das große Interesse an dem Buch.

Auf die Frage nach dem Außen: Ich glaube, dass wir mit dieser Idee ziemlich getreu Marx folgen. Sehr viele Menschen finden eben die Vorstellung, dass es nicht länger so etwas wie ein Außen geben soll, entmutigend, denn dann kann der Widerstand nur von innen kommen. Davor haben sie Angst und glauben, einen Standpunkt außerhalb des Kapitals zu benötigen. Dabei war es doch gerade Marx, der uns beigebracht hat, dass die Überwindung des Kapitals, der Widerstand gegen das Kapital und die Alternative zum Kapital nicht von außen kommen werden. Marx spricht doch nicht über die nicht-kapitalistischen Kräfte als Totengräber des Kapitals, sondern ganz im Gegenteil davon, dass im Innenraum des Kapitals das Proletariat selbst aus dem Kapital geboren wurde und dieses mitproduziert – es ist selbst der mächtigste Widerstand gegen das Kapital und von hier, vom Proletariat, von der zentralen Stelle des Kapitals, würde die Alternative kommen. Also ich finde, dass wir da doch ziemlich exakt in Marx´ Fußstapfen treten, wenn wir feststellen, dass es Kräfte innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft sind, die sich dem Kapital widersetzen können und eine Alternative zu ihm darstellen.

In „Empire“ geht es aber nicht mehr wie bei Marx um eine Politik des Gebrauchswerts bzw. die Wiederherstellung des Gebrauchswertes. Im Gegensatz zu jemandem wie Baudrillard, der die Trennung von Gebrauchswert und Tauschwert für unhaltbar erklärt, soll in eurer Konzeption die Produktion aber nach wie vor weiterbestehen. Baudrillard sagt ja, dass wir in einer neuen Ordnung der totalen Reproduktion, nämlich der Simulation, leben. Warum ist für euch die Produktion so wichtig.

Ich würde nicht zustimmen, dass Marx eine Rückkehr zum Gebrauchswert vorschlägt. Marx hat sehr wohl erkannt, dass der Gebrauchswert in der kapitalistischen Gesellschaft nur innerhalb einer Welt von Tauschwerten Gültigkeit hat. Von daher glaube ich nicht, dass es das ist, was Marx vorschlägt. Für mich ist das zu simpel, wenn man, nachdem man die ersten Seiten des „Kapitals“ gelesen hat, einfach annimmt, dass Marx hier für eine Rückkehr zum Gebrauchs- im Gegensatz zum Tauschwert argumentiert. Ich denke vielmehr, dass wir da hindurch müssen – dass ist genau das, was ich vorher mit „von innerhalb des Kapitals über es hinausgehen“ gemeint habe. Dass wir – und ich spreche hier überhaupt nicht wie Baudrillard – die progressiven Kräfte des Kapitals über die Grenzen hinausführen, in die das Kapital sie einzwängt – was für ein komplizierter Satz (lacht). Mit anderen Worten, ich glaube, dass dieser Traum von einer authentischen Welt der Gebrauchswerte genau diesem Versuch, ein Außen zu finden, entspricht. Ich denke, wir müssen dagegen, so wie ich das formuliert habe, durch das Kapital hindurch auf die andere Seite stoßen und ich glaube, das ist auch genau die Strategie von Marx.

Das Gespenst, vor dem sich die heutigen Herrscher fürchten, heißt nicht mehr Kommunismus, es hat eigentlich noch keinen Namen, vielleicht Migration, aber es hat einen Akteur: die Menge (Multitude). Die „Menge“ (Multitude) ist der alles entscheidende Begriff in eurer Konzeption eines Gegen-Empire. Ein sehr problematischer Begriff, da man nicht sagen kann, was diese Multitude eigentlich ist, oder?

Richtig. Mit „Multitude“ kann nicht ein bereits existierendes Subjekt benannt werden. In diesem Sinne ist das kein empirischer Begriff. Es ist jedoch der Name eines politischen Projekts und in diesem Sinne der Name für eine Form von Organisation. Es ist mehr die Ankündigung einer möglichen Zukunft, eines möglichen Subjekts, als der Name für ein existierendes Subjekt. Das heißt, auf der einen Seite hast du Recht, man kann die „Multitude“ nicht genau ausmachen, man kann nicht, ich weiß nicht, in ein volles Stadion gehen und sagen, das ist die „Multitude“. Die „Multitude“ kann nur Teil eines politischen Projekts sein und so haben wir auch versucht sie zu definieren, als eine Möglichkeit. Und genau davon, was die Multitude im politischen Sinn ist, spreche ich gerade. Ökonomisch betrachtet haben wir eine hiervon abweichende Konzeption, die Multitude unterscheidet sich nämlich von älteren Begriffen, wie „Arbeiterklasse“ oder ähnlichem.

Die Menge (Multitude) ist aber auch etwas – wenn ich dich richtig verstanden habe – das nicht anwesend ist, eine Art virtuelle Macht, etwas das nur umschrieben werden kann. Wie sieht die gegenwärtige Beschreibung aus? Das ist ja keine Klasse mehr, sicherlich kein Volk...

Wie gesagt, es ist die Möglichkeit einer Organisationsform. Ich will versuchen dir die Erklärung dafür zu geben, wie sich „Multitude“ von „Arbeiterklasse“ ökonomisch unterscheidet. Wir fanden es einfach ungenügend, die Bezeichnung „Arbeiterklasse“ weiterhin zu benutzen um damit das Subjekt der Revolution, das Subjekt des Widerstands gegen das Kapital zu benennen, nicht zuletzt weil „Arbeiterklasse“ ein sehr exklusiver Begriff geworden ist. Anders ausgedrückt: normalerweise meinen wir mit „Arbeiterklasse“ einfach die industriell Werktätigen. Wenn wir den Begriff erweitern wollen, sprechen wir von „Lohnarbeit“. Aber beides sind eben Kategorien, die viele produktive Tätigkeiten in der Gesellschaft ausschließen. Deshalb ist „Multitude“ eine Bezeichnung, mit der wir alle diejenigen erfassen können, die unter kapitalistischen Produktionsbedingungen arbeiten, eben alle produktiv Tätigen. Man muss dabei die Landarbeiter und die unbezahlte Hausarbeit von Frauen genauso miteinbeziehen, wie auch die Armen selbst, die ja nach unserer Einschätzung ebenfalls gesellschaftlich produktiv sind. Das heißt, wir haben versucht uns ein Subjekt der Arbeit vorzustellen, das die Ausweitung und das Umfassende heutiger gesellschaftlicher Produktion beinhaltet, das über die politischen und analytischen Beschränkungen von „die industriell Werktätigen“ hinausgeht.

Eine dekonstruktive Lesart eures Konzepts der Multitude würde vermutlich zeigen, dass die Grenze zwischen der „Multitude“ und dem „Empire“, dass der Unterschied zwischen beiden schwer zu benennen ist. Kann man das wirklich voneinander trennen?

Selbstverständlich kann man da eine Unterscheidung treffen. Ich bin mir nicht sicher ob es das ist, was du mit „dekonstruktiver Lesart“ meinst, aber es trifft zu, dass wir z.B. über „Empire“ als ein dezentriertes Netzwerk von Kräften sprechen und wir haben ebenfalls über die „Multitude“ als ein horizontales Netzwerk von Handelnden gesprochen. Aber die Tatsache, dass beide in Netzwerken organisiert sind bedeutet noch lange nicht, dass sie das gleiche sind. Warum meinst du, dass sie das gleiche sind? Die Frage ist mir nicht ganz klar.

Ich nehme da Bezug auf Derrida. Er zeigt in seinen Schriften doch immer, dass wir nicht wirklich eine Unterscheidung zwischen “Innen“ und „Außen“ treffen können. Der Rahmen ist ein konstitutiver Teil des Bildes und umgekehrt. So gesehen ist die „Multitude“ immer auch ein Teil des Empires.

Und zwar auf die gleiche Weise, wie das Proletariat ein Teil des Kapitals ist. Es ist in der Tat der wesentliche Part des Kapitals, nämlich sein produktiver Teil oder nicht? Und auf die gleiche Art und Weise kann das „Empire“ nur dadurch überleben, dass es die Menge ausbeutet, aber wie gesagt, das heißt noch lange nicht, dass beide identisch sind, sondern nur dass sie eng miteinander zusammenhängen. So gesehen ist natürlich jeder Ausbeuter eng verknüpft mit den Ausgebeuteten. Wir müssen Möglichkeiten finden, die Ausbeutung selbst aufzubrechen.

Ich hab´ irgendwo gelesen, dass der Begriff bzw. das Konzept der Menge (Multitude) von Spinoza stammt. Warum ist Spinoza so wichtig für euch, seine Texte und Ideen sind doch mittlerweile über 300 Jahre alt.

Spinoza ist natürlich für uns genauso wichtig wie Marx. Die Tatsache, dass Texte oder Gedanken 150 oder 300 Jahre alt sind, ist doch nicht das Entscheidende an ihnen.

Da hast du Recht.

Aber das kommt auch nicht nur von Spinoza. Der Begriff hat eine sehr interessante Geschichte innerhalb der englischen politischen Geschichte. Im 17. Jahrhundert, zur Zeit des englischen Bürgerkriegs, wurde „die Menge“ (Multitude) als ein politischer Begriff im Unterschied zu „Volk“ (people) gebraucht. Und genauso versuchen wir den Begriff heute zu verwenden oder zumindest in der gleichen Absicht. Wenn „the people“ zur Zeit der englischen Revolution diejenigen bezeichnete, die Eigentum besaßen und wahlberechtigt waren, meinte „the Multitude“ die gesamte Bevölkerung einschließlich der Armen, also nicht nur die Besitzenden. Es ist die gleiche Art von Ausweitung des Begriffs, die man da versucht hat. Ich weiß auch nicht, wenn dir ein besserer Begriff einfällt, dann nehmen wir halt den. Die Schwierigkeiten sind aber immer die gleichen; man kann entweder einen neuen Ausdruck erfinden oder versuchen einen alten, der einige Ähnlichkeiten aufweist, neu zu definieren und zu verwenden. Beim Wort Empire – tatsächlich mehr bei „Empire“ aber ebenso bei „Multitude“ – stoßen wir auf eben diese Schwierigkeiten, dass nämlich die Art und Weise wie die Ausdrücke in der Vergangenheit benutzt wurden, es erschwert, darzustellen, was heute neu an ihnen ist. Das gilt auch für das Wort Demokratie, bei dem gibt´s sogar noch größere Probleme.

Der Marxismus und seine klassische Beschreibungen des Kapitals benötigen einen Unterschied von innen und außen, um das Funktionieren der kapitalistischen Ökonomie zu erklären. Eure These ist bekanntlich, dass dieser Unterschied verschwunden ist und wir dadurch eine globale Sphäre der kapitalistischen Ökonomie bekommen haben, die ihr Empire nennt. Glaubst du, dass eine globale Sphäre des Kommunismus möglich gewesen wäre und hättest du das dann ebenfalls als Empire bezeichnet? Mir fällt da Kojève ein, der ja, als er vom Ende der Geschichte gesprochen hat, dabei eine Zeit lang an den weltweiten Sozialismus dachte.

Die ist momentan möglich, aber ich würde sie nicht als Empire bezeichnen. Genau das ist ja der Kern unserer Polemik, zumindest auf den ersten Seiten von „Empire“, dass eine Globalisierung der Verhältnisse immer der Wunsch des Proletariats gewesen ist. Es war ja nicht so sehr das Kapital sondern es waren eher die kommunistischen Kräfte, die jenseits nationalstaatlicher Zwänge eine internationale Solidarität und generell die Internationalisierung der Arbeiterbewegung erst möglich gemacht haben. Das ist doch schon lange ein Teil unserer Geschichte oder? Für mich ist die Möglichkeit einer globalen Bewegung, der Traum davon und der Kampf dafür schon immer ein Teil unserer Geschichte. Aber „Empire“? Wenn du mit Empire eine Herrschaftsform meinst, dann ist es doch genau das, was der Kommunismus nicht sein sollte. Der Kommunismus ist vielmehr eine demokratische Gesellschaftsorganisation, die auf der schöpferischen Kraft der Individuen selbst basiert.

Im Zusammenhang mit den Beschreibungen der immateriellen Arbeit gebraucht ihr den Begriff des spontanen und elementaren Kommunismus. Was soll das sein?

Ich glaube nicht, dass diese Art Kommunismus, wie wir sie beschrieben haben, sich so sehr von dem unterscheidet, was Marx selbst unter Kommunismus versteht. Uns ging es darum zu verstehen, wie eine demokratische Selbstorganisation, eine freie demokratische Selbstorganisation der Produzenten heutzutage möglich sein könnte. Ich glaube auch nicht, dass die wirklich spontan erfolgt, ich bin mir nicht sicher, was wir an der Stelle sagen, wir sagen alle immer wieder mal so blödes Zeug. Aber ich glaube, es bedarf einer Organisation und das wollten wir mit dem Begriff Multitude andeuten: dass es keine sofortigen und spontanen Alternativen zu den gegenwärtigen Formen der Macht gibt, sondern man braucht die Organisation einer freien und demokratischen Gesellschaft.

Ihr schreibt, dass es nicht nur die Hoffnung auf Widerstand innerhalb des Empires gibt, sondern sogar so etwas wie ein Potential für Revolutionen. Glaubst du wirklich, dass es in der postmodernen Welt noch Revolutionen geben könnte, die Revolution selbst ist doch eher eine Kategorie der Moderne?

Mit dem Ende der Moderne geht doch nicht alles unter (lacht). Ich meine, genau das muss man doch erst prüfen und das ist auch das Hauptanliegen unserer Bücher: wir wollen zeigen, dass es eben nicht nur neue Formen von Herrschaft und Ausbeutung in unserer neuen globalen Lage gibt, sondern dass zusammen mit diesen Formen neue Kräfte entstehen. Und zwar neue Kräfte, die sich aus der Arbeit selbst ergeben. Darauf muss man aufbauen, wenn man behaupten will, dass die Revolution heute noch möglich ist. Und das ist auch der Kern unserer Argumentation.

Wie weit darf dieser Widerstand gehen? Man hat ja auch versucht „Empire“ als Aufruf zum Terrorismus zu lesen. Spielt Gewalt bei eurer Konzeption des Widerstands überhaupt eine Rolle?

Wieso glaubst du, dass irgendjemand das als Aufruf zum Terrorismus verstehen kann?

Die rechte Presse in Amerika hat doch versucht, Empire nach dem 11. September so zu lesen.

Okay. In „Multitude“ haben wir nach der Gewalt als Mittel des heutigen Kampfes gefragt – und das was wir darüber sagen ist ziemlich, sagen wir es so, wir sind da ziemlich unschlüssig. Für mich ist zunächst offensichtlich, dass die traditionellen Mittel der Gewalt, wie sie im kommunistischen Kampf zum Einsatz kamen, heute nicht mehr wirksam sind. Das heißt, was wir wirklich brauchen, ist eine Kritik der Waffen. Mit Kritik meine ich nicht, dass man sagt „Waffen sind grundsätzlich schlecht“, sondern die Erkenntnis, welche Waffen heute effektiv sind und welche nicht. Man muss versuchen sich vorzustellen, auf welche Weise wir heute noch Gewalt anwenden können, aber die richtige Art von Gewalt, die wirksamste Art von Gewalt als Teil des Kampfes. Ist das verständlich? Ich meine, das ist erst ein Ansatz, den man weiterentwickeln muss. Aber das sind alles Dinge, die nicht in theoretischen, philosophischen Büchern entwickeln werden. Diese Fragen nach Formen und Gebrauch von Gewalt werden kollektiv in Bewegungen entschieden und sollten auch dort entschieden werden.

Es gab mit Alexandre Kojève und es gibt mit Francis Fukuyama Autoren, die meinen, dass wir einfach an ein „Ende der Geschichte“ gelangt sind, Kojève favorisierte zeitweise den Sozialismus, für Fukuyama ist es der globale Kapitalismus, den er mit dem Ideal der liberalen Demokratie verbunden sieht. Kann es nicht sein, dass wir bereits in dieser Posthistoire leben?

Nein. Ich nehme an, dass mit dem Ende der Geschichte das Ende des Klassenkonflikts oder überhaupt das Ende einer Aufteilung in Klassen gemeint ist. Ich weiß nicht, ob das wirklich die Antwort auf deine Frage ist, aber ich gehe mal davon aus, dass, solange es Herrschaft gibt, es immer Widerstand geben wird. Und ich glaube, dass es im Augenblick wirklich sehr schwer ist zu sagen, dass wir in einer Welt ohne Herrschaftsstrukturen leben. Deshalb ist für mich die Antwort ganz einfach: natürlich nicht.

Du bist Professor für Literaturwissenschaft an der Duke University. In „Empire“ gibt es jedoch keinen Abschnitt über die Kunst. In der Kritischen Theorie Adornos war die Kunst ja zumindest noch eine Möglichkeit – ich will nicht sagen zum Widerstand - zur Erfahrung des Individuellen und Nichtidentischen. Glaubst du, dass die Kunst heutzutage überhaupt noch eine ähnliche Rolle spielen kann?

Da bin ich mir sicher, natürlich. Ich bin wahrscheinlich nicht der Richtige um das zu diskutieren, aber eine Sache scheint mir ganz deutlich zu sein, dass nämlich das, was Künstler tun ... ich muss da glaube ich etwas weiter ausholen. Was wir heute ebenfalls dringend brauchen – das ist etwas, das Tony und ich ständig betonen und selbst auch versuchen – ist die Erneuerung unseres politischen Wortschatzes. Ich glaube, dass man mittlerweile erkannt hat, dass die herkömmlichen politischen Begriffe nicht mehr mit unserer Realität übereinstimmen, daher ist ein Teil dessen, was Tony und ich versuchen, die Erfindung neuer Begriffe, die unsere Realität besser abbilden oder die Umwandlung alter Begriffe. Darüber haben wir ja bereits gesprochen. Ich denke, dass bei diesem Vorgang der Umwandlung bzw. Erfindung eines neuen politischen Vokabulars die Phantasie und Kreativität der Kunst unverzichtbar ist. Gerade wenn wir es mit Begriffen zu tun haben, die die Monstrosität unserer gegenwärtigen Welt bezeichnen, brauchen wir die Art von phantasievoller Belebung, den gewissen Abstand zu den Dingen, zu dem Künstler meist fähig sind. In dem Buch „Multitude“ greifen wir auf Bilder der Monstrosität und in diesem Zusammenhang auf Künstler zurück – was weiß ich, Rabelais oder Ähnliches -, die die radikale Brüchigkeit der Welt vorhergesehen und beschrieben haben. Das ist nur eine und vielleicht auch nicht so bedeutende Möglichkeit zur Beschreibung der politischen Zustände.

Mit Mike Kelley hab’ ich letztes Jahr über seine Band „Destroy all Monsters“ gesprochen und das ging auch in diese Richtung.

Klingt interessant...

Jacques Derridas Buch über Marx versucht auch eine Antwort auf die Frage “Wither Marxism” zu geben. Ich würde dir gerne am Schluss die selbe Frage stellen: Wird der Marxismus überleben oder wird er untergehen?

Eine einfache Antwort auf so eine Frage lautet, dass, solange wir vom Kapital beherrscht werden, einige Analysen von Marx gültig bleiben. Aber ich glaube, der Marxismus kann nur dann wirklich überleben – aber das ist sicherlich schon die ganze Zeit geschehen -, wenn wir die Arbeit von Marx fortsetzen, denn man kann ja in der gegenwärtigen Welt nicht einfach Methoden von 1860 wiederholen. Man muss die Werkzeuge ergreifen, die Marx uns gegeben hat, und sie kreativ und in der Weise benutzten wie es unsere gegenwärtige Welt erfordert. Wir sehen heute viele Dinge deutlicher als Marx, ganz einfach weil die Geschichte weitergegangen ist. Und sicherlich nur auf diese Weise kann auch Marx am Leben bleiben.